Böden sind der wichtigste Kohlenstoffspeicher der Erde und bremsen so den globalen Klimawandel!
Das vergesssene Universum
Mutterboden: Die erdigen Massen, auf denen wir uns fortbewegen, sind ein zentraler Teil der Biosphäre.
Die Probleme beginnen damit, dass man dem Boden nicht ansieht, wie schlecht es ihm geht. Von oben betrachtet ist da nur eine scheinbar leblose sandige oder lehmige Masse, die uns zumeist egal ist: Dreck!
Aussterbende Tiere, Insekten, der Schutz von Wasser, Luft und Klima wird uns immer wichtiger. Der Boden aber wird vergessen. Landwirte kämpfen für eine “zukünftige” Landwirtschaft unter weiterhin geduldeten Pestizideinsatz und die Ausbringung von grundwassergefährdender Gülle! Was geht da in deren Köpfen vor?
Wissenschaftler haben gerade einen Beitrag im Fachjournal Science veröffentlicht, der sich ließt, wie ein Appell: Die Politik solle den Bodenschutz endlich ernst nehmen. “Die Umweltschutzbemühungen ignorieren die Mehrheit der terrestrischen Artenvielfalt nahezu komplett”, schreiben die Autoren. Sie meinen jene Lebewesen, die unsichtbar im Boden leben.
Das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
Halle-Jena-Leipzig veröffentlicht am 14.1.2021 den nachfolgend zitierten Beitrag von Sebastian Tilch.
Die Vermessung der unterirdischen Welt
Forscher appellieren, den Lebensraum Boden und seine Funktionen in internationalen Schutzstrategien stärker zu berücksichtigen
Leipzig/Halle/Fort Collins. Ein Viertel aller bekannten Arten lebt im Boden. Das Leben über der Erde hängt vom Boden und seinen unzähligen Bewohnern ab. Doch globale Strategien zum Schutz der Biodiversität schenken diesem Lebensraum bisher wenig Beachtung. Ein internationales Team von Forschern unter der Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Universität Leipzig (UL) und der Colorado State University ruft in der Fachzeitschrift Science dazu auf, die Böden in den Neuverhandlungen internationaler Biodiversitätsstrategien stärker zu berücksichtigen. Ihre Bedeutung müsse weit über die Landwirtschaft hinaus honoriert werden. Um Zustand und Leistungen der Böden besser sichtbar zu machen, erläutern die Forscher ihren Plan zur systematischen Erfassung auf Basis weltweit einheitlicher Standards.
Würde man die Menschen befragen, welche Tiergruppe die häufigste auf der Erde wäre, es würde wohl kaum jemand auf die richtige Antwort kommen. Nicht Ameisen, nicht Fische, auch nicht Menschen – nein es sind die Nematoden, auch Fadenwürmer genannt. Vier von fünf Tieren auf der Erde gehören dieser Gruppe an. Dass sie kaum einer kennt, liegt daran, dass sie unsichtbar unter der Erde leben. Still und leise leisten sie der Welt über ihnen tagtäglich enorm wichtige Dienste – gemeinsam mit Tausenden anderer Bodenlebewesen.
Der Boden ist einer der artenreichsten Lebensräume überhaupt. Unter einem Quadratmeter gesunden Bodens leben bis zu 1,5 Kilogramm Lebewesen: Fadenwürmer, Regenwürmer, Springschwänze, Milben, Insektenlarven usw. Hinzu kommen Myriaden von Mikroorganismen: Bakterien, Protisten, Pilze etc. Sie fressen und verwandeln lebendes und totes Tier- und Pflanzenmaterial in Nährstoffe für neues Leben. Ohne Bodenlebewesen könnten keine Pflanzen wachsen, könnten keine Menschen leben.
Umso erstaunlicher, dass Böden in den internationalen Strategien zum Schutz der Biodiversität bislang kaum eine Rolle spielen. Für die Autoren des neuen Science-Artikels ein großes Problem: „Wenn wir die Böden nicht für die nächsten Generationen schützen“, schreiben sie, „können auch die oberirdische Artenvielfalt und die Nahrungsmittelproduktion nicht gewährleistet werden“. Der Appell geht an die 196 Staaten, die im Rahmen der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) derzeit eine neue Strategie zum Schutz der Biodiversität verhandeln.
Denn die Böden sind immer seltener gesund. Sie leiden unter intensiver Bewirtschaftung mit schweren Maschinen, Düngern und Pestiziden, werden verdichtet, überbaut oder gehen durch Wind- und Wassererosion verloren. Die Klimaerwärmung setzt sie zusätzlich unter Druck. So gehen laut Heinrich-Böll-Stiftung weltweit jährlich rund 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verloren. Damit fallen nach und nach auch vielfältige Leistungen der Böden aus, wie etwa die Reinigung von Wasser oder der Schutz vor Pflanzenkrankheiten. Außerdem sind Böden der wichtigste Kohlenstoffspeicher der Erde und bremsen so den globalen Klimawandel.
Biologische Vielfalt des Bodens muss stärkeres Gewicht in globalen Strategien zum Biodiversitätsschutz bekommen
Diese Leistungen kommen den Forschern in den politischen Debatten viel zu kurz. „Bisher wurde der Bodenschutz zu sehr auf die Vermeidung von Erosion und des Verlusts der Produktivität in der Landwirtschaft reduziert“, sagt Erstautor Dr. Carlos Guerra (iDiv, MLU). „Es wird Zeit, dass Naturschutzpolitik sich den Schutz von Bodenorganismen und deren Ökosystemfunktionen als Ziel setzt – über die Nahrungsmittelproduktion hinaus. Indem wir die biologische Vielfalt im Boden erfassen und schützen, unterstützen wir die Erfüllung vieler Nachhaltigkeitsziele, sei es der Klimaschutz, die Nahrungsmittelversorgung oder der Schutz der biologischen Vielfalt.“
„Schutzmaßnahmen haben bisher vor allem das Leben über der Erde im Blick gehabt, etwa bei der Ausweisung von Schutzgebieten“, sagt Senior-Autorin Dr. Diana Wall von der Colorado State University. Da diese aber nicht notwendigerweise auch der unterirdischen Biodiversität nützen, müssten die spezifischen Bedürfnisse der Lebensgemeinschaften im Boden mitberücksichtigt werden. Als konkrete Schutzmaßnahmen schlagen die Forscher in ihrem Artikel beispielsweise den Verzicht aufs Pflügen oder die Erhaltung von Totholz vor.
Soil BON: Globales Netzwerk für das Monitoring von Bodenökosystemen
Um entscheiden zu können, welche Regionen der Welt besonders schutzwürdig sind und welche Maßnahmen dazu sinnvoll sind, müssen ausreichend Informationen über Zustand und Entwicklung der Biodiversität in Böden vorhanden sein. Da dies bislang nicht der Fall ist, haben die Forscher das Monitoring-Netzwerk Soil BON ins Leben gerufen. „Wir wollen die biologische Vielfalt in den Böden in den Fokus der Schutzbemühungen rücken. Dazu müssen wir der Politik die notwendigen Entscheidungshilfen liefern“, sagt Senior-Autor Prof. Nico Eisenhauer, Forschungsgruppenleiter bei iDiv und der Universität Leipzig. „Soil BON wird die relevanten Daten erzeugen und Unterstützung leisten, um dieses Ziel zu erreichen.“
Soil BON soll helfen, vergleichbare Boden-Daten flächendeckend und über lange Zeiträume zu erfassen. Notwendig sind weltweit einheitliche Regeln, was wie erfasst werden soll. Die Forscher schlagen hierfür ein ganzheitliches System vor, das auf den sogenannten Essential Biodiversity Variables (EBVs) aufbaut. EBVs sind Schlüsselgrößen für die Messung von Biodiversität und ihrem Wandel. Das Konzept wurde u. a. bei iDiv entwickelt und enthält Messgrößen wie Bodenatmung, Nährstoffumsatz oder genetische Diversität. Aus den EBVs leiten sich Indikatoren ab, die als Entscheidungsgrundlagen für die Bewertung und die Schutzwürdigkeit von Böden dienen.
Das vorgeschlagene Monitoring- und Indikator-System ermöglicht es den Forschern zufolge, den weltweiten Zustand der Böden und ihrer Funktionsfähigkeit effizient zu erfassen und langfristig zu verfolgen. Sie betonen zudem, dass es auch als wichtiges Frühwarnsystem dienen kann: Mit seiner Hilfe ließe sich frühzeitig erkennen, ob mit den laufenden Maßnahmen die gesteckten Naturschutzziele erreicht werden können.
Diese Forschungsarbeit wurde u.a. gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118).
Quelle: iDiv
Reise in die Erde
Ein Video von ServusTV
Die Haut der Erde 1
Erosion ist die andere Bedrohung für die Böden der Welt.
Der Journalist Andreas Frey im Interview mit Pedologin Prof. Dr. Christine Alewell von der Universität Basel:
„Der ist dann erst einmal weg“
Frau Alewell, weltweit verschwinden jedes Jahr 36 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens. Verlieren wir damit die Grundlage des Lebens?
Ja und nein. Wir haben glücklicherweise sehr viel Boden. Bis er erodiert, dauert es sehr lange. Andererseits sind die Verluste des fruchtbaren Oberbodens enorm. Zusätzlich verlieren wir fruchtbaren Boden durch Versiegelung. Das liegt vor allem daran, dass der Mensch schon immer dort gesiedelt hat, wo die Erde fruchtbar ist.
Frau Alewell, weltweit verschwinden jedes Jahr 36 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens. Verlieren wir damit die Grundlage des Lebens?
Ja und nein. Wir haben glücklicherweise sehr viel Boden. Bis er erodiert, dauert es sehr lange. Andererseits sind die Verluste des fruchtbaren Oberbodens enorm. Zusätzlich verlieren wir fruchtbaren Boden durch Versiegelung. Das liegt vor allem daran, dass der Mensch schon immer dort gesiedelt hat, wo die Erde fruchtbar ist.
Sie beschäftigen sich mit Modellen der weltweiten Bodenerosion durch Wasser. Wie hoch ist der Verlust in Deutschland?
Nach den Zahlen des European Soil Data Centre verlieren wir allein von den Ackerböden 23 Millionen Tonnen pro Jahr. Der Boden geht meistens unmerklich verloren, die Partikel werden durch Wasser und Schwerkraft in die Gewässer und Ozeane gespült. Rillen bilden sich hierzulande seltener, nur bei Starkregenfällen. In Regionen mit extremem Klima und nicht angepasster landwirtschaftlicher Praxis bilden sich sogar richtige Furchen. Das sind dann meist die schlimmen Bilder, die wir mit der Bodenerosion verbinden.
Ist der Boden für immer verloren?
Der ist dann erst einmal weg. Und bildet sich in menschlichen Maßstäben auch nicht wieder.
Das klingt nach einem Problem …
Die Frage ist: für wen? Für Landwirte in Mitteleuropa ist der Bodenverlust kein großes Problem. Sie können im Moment noch mit Dünger und Kalk kompensieren, was verlorengeht, ohne Ernteeinbußen zu beklagen. In Entwicklungsländern allerdings verursacht ein weggeschwemmter Oberboden große Probleme. Der Verlust bedeutet nicht selten Hunger.
Und was bedeutet er für die Natur?
Für sie ist die Bodenerosion ebenfalls ein gewaltiges Problem. Wir unterscheiden dabei Onsite- und Offsite-Schäden. Mit Onsite ist der Verlust auf dem Feld selbst gemeint und mit Offsite die Schäden, die das Sediment dort anrichtet, wo es hingeschwemmt wird, beispielsweise im Gewässer. Die teils scharfkantigen Sedimente können die Kiemen der Fische verletzen, feine Sedimente verstopfen zudem die Gewässersohle. Darunter leiden dann alle Lebewesen im Gewässer.
Und was passiert mit den Nährstoffen der fortgeschwemmten Äcker?
Die landen ebenfalls in den Gewässern. Den Stickstoffeintrag bestimmt nicht so sehr die Erosion, denn dieser leicht lösliche Nährstoff wird schon mit dem Wasser ausgespült. Phosphor hingegen ist nur schwer löslich und wird deswegen hauptsächlich über die Bodenerosion in die Gewässer eingetragen. Das führt am Ende zur Eutrophierung von Seen, Flüssen und Meeren. Der Verlust von Phosphor führt aber zu noch ganz anderen Problemen. Er wird als Dünger auf die Äcker gebracht; Düngemittel mit mineralischem Phosphor werden schon in einigen Jahren knapp sein. Alle europäischen Länder müssen ihn importieren, die letzten großen Lagerstätten werden in Marokko und den Subsahara-Staaten sein. Aber dort dürfte auf lange Sicht nicht Europa am Zug sein, sondern China, Amerika und Russland. In der Schweiz hat man beschlossen, die Kreisläufe wieder zu schließen. Jegliche phosphorhaltigen Produkte, von Tierprodukten bis zum Klärschlamm, müssen künftig recycelt werden.
Vor zehn Jahren wehte ein Sturm trockenen Ackerboden auf die A 19 bei Rostock. Das verursachte eine Massenkarambolage, acht Menschen starben. Wird Erosion durch Wind noch immer unterschätzt?
Das Ereignis damals war auch für mich neu. Winderosion ist ein schleichender Prozess, der Boden bleibt an Hindernissen hängen und wird nicht gezielt in Gewässer eingetragen. Je weniger Hecken und Bäume eine Landschaft hat, desto anfälliger wird sie für die Winderosion. Zudem hängt das Forttragen der Körnchen von der Bedeckung des Ackers ab, und die ist wiederum abhängig von der Bewirtschaftung. Eine Mulchauflage, Zwischenfrüchte und Gründüngung verhindern solche Prozesse eher, sorgen für ein stabiles Bodengefüge mit verklebten Körnchen, die wir Aggregat nennen. Ein aggregierter Boden kann nicht weggetragen werden, kleine trockene Einzelkörnchen schon.
Der Pflug lockert den Boden und macht ihn anfälliger für Erosion. Wird zu häufig gepflügt?
Der Pflug lockert den Boden, das stimmt natürlich. Aber bei pfluglosen Verfahren werden Herbizide wie zum Beispiel Glyphosat gespritzt.
Was raten Sie also?
Wir müssen grundsätzlich auf extensive Bewirtschaftung umstellen und dazu unsere Ernährungsgewohnheiten auf weniger Tierprodukte umstellen und den Lebensmittelabfall drastisch reduzieren. Dann könnte effektiver produziert werden bei höheren Preisen. Wir hätten eine extensivere Landwirtschaft, mit kleineren Maschinen und weniger, aber besser strukturierter Fläche, mit Hecken, Büschen, Bäumen und Wiesenrandstreifen.
Jetzt laden Sie die Verantwortung beim Konsumenten ab.
Schon, aber die Politik handelt ja nicht. Ein Großunternehmer wie Tönnies wird unterstützt, kleine Biobetriebe sind im Überlebenskampf, und das Landwirtschaftsministerium ist nicht ambitioniert, etwas zu ändern. Überall auf der Welt degradieren die Böden, als Folge des Ackerbaus? Ein Drittel der Böden weltweit ist degradiert, Tendenz steigend. Die Ursachen sind zu neunzig Prozent auf landwirtschaftlich genutzten Flächen zu finden, besonders dort, wo sich die Landwirtschaft intensiviert. Was mich noch mehr schockiert, ist, dass die Biodiversität in Europa massiv einbricht. Seit 1990 ist sie im landwirtschaftlichen Gebiet auf Talfahrt. Das ist eine klare Folge der ungebremsten Intensivierung der Landwirtschaft.